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Mittwoch, 18. November 2015

Über die wahre Freiheit




Hl. Nektarios von Pentapolis
Über die wahre Freiheit [1]
Homilie zu Mk 8,34-37

„Will einer Mir nachfolgen, so verleugne er sich selbst,
nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir.
Denn wer seine Seele retten will, wird sie verlieren,
wer aber seine Seele verliert um Meinet und des Evangeliums willen,
der wird sie retten.
Denn was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt,
aber Schaden nimmt an seiner Seele?
Oder was kann der Mensch geben als Gegenpreis für seine Seele“


Die Freiheit des Menschen folgt aus 
seiner Bestimmung auf Erden

Der Mensch, dazu erschaffen, das unendlich große Bild des Göttlichen Schöpfers auf Erden im Kleinen abzubilden, mußte notwendigerweise mit den Eigen-schaften Gottes ausgerüstet sein, damit er in allem auf Gott Selbst hin geordnet, auf Ihn bezogen war.[2] Als Abbild Gottes mußte der Mensch ein seiner selbst bewußtes,[3] freies und seiner selbst mächtiges[4] Wesen sein, denn ein Wesen ohne Bewußtsein seiner eigenen Existenz, ohne Freiheit, ohne Macht über sich selbst, wäre der ihm durch den großen Ratschluß des Göttlichen Schöpfers vorbehaltenen hohen Berufung unwürdig.


Die Freiheit des Menschen ist mithin die notwendige Konsequenz seiner erhabenen Sendung, seiner Erschaffung und seines Erscheinens in der Welt, und deshalb eine notwendige und ehrwürdige Gabe. Ohne Freiheit wäre der Mensch von gleichem Rang wie die anderen Lebewesen, sein Tun wäre der Knechtschaft unterworfen und ebenso sein Denken, das sich in einem begrenzten Kreis bewegen und umherstreifen würde. Die Ideen des Guten und Rechten wären ihm unbekannt, und er würde nicht wissen, was schändlich ist, was schlecht, was unwahr. Er hätte keine Macht zum Handeln aus freiem Entschluß, keine Möglichkeit, herauszutreten aus dem begrenzten Kreis der angeborenen Triebe.
Die Unkenntnis des Guten, des Rechten und des Wahren würde den Menschen zu einem ethiklosen Wesen machen, sodass die Ethik für ihn ein Wort ohne Sinn wäre, da sein Tun ethisch neutral und deshalb unqualifizierbar wäre. Wegen ihrer Neutralität und Unterschieds-losigkeit wiederum würden seine Taten keinerlei Gefühl oder Eindruck erwecken im Verstand oder im Herzen des Menschen. Und auf Grund dieses Mangels wäre das Herz gefühllos und der Verstand träge und untätig.
Diese Gefühllosigkeit und diese Trägheit aber würden sich herabsenken wie dunkle Wolken und das wunderbare Bild des Göttlichen Schöpfers überdecken, das Seine schöpferische Hand so strahlend und mit so bewundernswerter Kunstfertigkeit geschaffen hat und in welchem Seine Gutheit, Weisheit und Kraft so hell leuchten. Diese Wolken würden ihn hindern, seinen Bildner, den Schöpfer aller Dinge zu schauen und zu erkennen. So würde der Mensch nichts wissen von Gott und von seinen eigenen göttlichen Eigenschaften, und deshalb vermöchte die Schöpfung niemals mit Wissen und Bewußtsein Gott zu verherrlichen, zu besingen, zu lobpreisen und Ihm zu danken.
Der Mensch wurde erschaffen, damit er Gott abbilde auf Erden. Gott gestaltete ihn als geistiges und seiner selbst mächtiges Wesen, damit er Seinen Willen erfülle, den Er in sein Herz einschrieb, und gab ihm auch einen eigenen Willen. Zweck seiner Erschaffung war, dass [durch ihn] die Schöpfung Gott erkenne. Er wurde mithin erschaffen, damit er seinen Bildner und Schöpfer erkenne. Er wurde erschaffen, damit er sich zu Gott erhebe, Gott verherrliche.
Er wurde erschaffen mit dem Zweck, dass die von Gott erschaffene Schöpfung mit vollem Bewußtsein ihren Göttlichen Schöpfer lobpreise. Seine Macht über sich selbst,[5] sein geistiges Wesen und seine Freiheit, die ihn zu ethischem Handeln befähigt, wurden ihm mithin dazu gegeben, seine hohe Bestimmung zu erfüllen, seine hohe Sendung, die Erde zu verbinden mit dem Himmel, und nicht abzuweichen nach rechts oder nach links, sondern voranzuschreiten auf dem geraden Weg durch das Tun allein des Guten, das in sein Herz eingeschrieben ist und das er auch spontan von sich aus liebt.
Tut er aber etwas anderes und weicht ab von seiner Bestimmung, wird er unfrei und „macht sich den vernunftlosen Tieren gleich“ (s. Ps 48,13 und 48,21). Der Mensch ist wahrhaft frei, solange er sich nicht entfernt vom Guten, solange er seinen eigenen Willen dem Willen Gottes angleicht. Doch sobald er abweicht vom geraden Weg, wird er zu einem unfreien Wesen, und seine Freiheit ist nichts mehr als eine Vortäuschung von Freiheit, eine Pseudo-Freiheit.

Unterordnung unter Gottes Willen
grenzt die menschliche Freiheit nicht ein

Indem sich die Freiheit des Menschen dem Gesetz Gottes unterordnet, wird sie keineswegs begrenzt, denn Gott in Seiner Göttlichkeit ist grenzenlos, und der Grenzenlose kann die Freiheit nicht begrenzen. Ganz im Gegenteil, Er weitet sie aus und läßt sie wachsen in dem Maß, wie der Mensch Ihm folgt.
In seiner Begründung der Pflicht des Menschen, dem Willen Gottes zu folgen, sagt der heilige Martyrer Justinos der Philosoph:[6] „Gott hat den Menschen frei und seiner selbst mächtig erschaffen, damit Er ihm das, was er aus eigenem Verschulden verliert durch Nachlässigkeit und Ungehorsam, in Seiner göttlichen Menschenliebe und Seinem göttlichen Erbarmen wiederum schenken kann, wenn der Mensch umkehrt zum Gehorsam gegenüber Seinem Willen. Das heißt, so wie der Mensch ungehorsam wurde und sich den Tod zuzog, so auch kann er, wenn er wieder dem Willen Gottes gehorcht, das ewige Leben gewinnen. Denn Gott hat uns heilige Gebote gegeben, damit jeder, der sie einhält, gerettet werde und durch Erlangen der Auferstehung die Unsterblichkeit erbe.“
Aus diesem Grund mithin schuldet der Mensch, mit Ehrfurcht das Gesetz Gottes einzuhalten und Seinen Willen zu tun, denn als Abbild Gottes ist er verpflichtet, den Zweck seiner Sendung auf Erden zu erfüllen. Tut er es nicht, wird er dereinst verurteilt werden als einer, der seine Pflichten verletzt hat, weil er es unterließ, seinen Auftrag zu erfüllen, und auf Grund seiner Nachlässigkeit schlechten Gebrauch machte von seiner Macht über sich selbst und sich den Leidenschaften und den Begierden hingab.

Gott achtet die Freiheit des Menschen,
daher die Notwendigkeit von dessen Mitwirkung am Heil

Die Selbstbestimmung des Menschen ist erwiesenermaßen unantastbar. Der Grad seiner Freiheit wird aufgezeigt durch die Art, wie der Herr ihn ruft: „Will einer Mir nachfolgen, so verleugne er sich selbst....“ (Mk 8,34). Der Erlöser lädt den Menschen ein, Ihm zu folgen, überläßt es aber seiner freien Entscheidung, ob er Ihm folgen oder seinem eigenen Weg folgen will. Er ist gekommen, um den Menschen zu retten, doch er tut seinem freien Willen keine Gewalt an. Er lädt ihn ein, aktiv mitzuwirken an seiner Rettung, doch er tastet seine Selbstbestimmung in keiner Weise an.
Wenn wir die Heilsgeschichte studieren, sehen wir, wie der Sohn Gottes, der Mensch wurde zur Rettung des Menschen und hinschreitet zu Seiner freiwilligen Passion, um „hinwegzunehmen die Sünde der Welt“ (s. Joh 1,29), um unsere eigenen Wunden zu tragen, um das große Mysterium der Heilsökonomie zu vollstrecken und den Menschen mit Gott zu versöhnen, bei alledem dem freien Willen des Menschen keinerlei Gewalt antut.
Siehe, die Tür des Paradieses, die verschlossen war, wird geöffnet und das Flammen-schwert, das seinen Eingang hütete, wird weggenommen und die Stimme des Gebieters ruft den Menschen, der daraus vertrieben worden war, durch diese Tür einzutreten an den Ort der Erquickung. Doch Er überläßt es dessen freien Entscheidung, ob er eintreten will oder nicht!
Die klare Anerkennung unserer Freiheit durch den Erlöser lehrt uns, dass unsere Erlösung nicht durch die unbeschränkte Energie der Gnade Gottes allein gewirkt wird, sondern auch durch die Einwilligung und mitwirkende Energie des Menschen. Über deren Notwendigkeit sagen die weisen Väter der Kirche Folgendes. Der göttliche Chrysostomos sagt: „Die Gnade, obwohl sie Gnade ist, rettet nur jene, die es wollen.“. Und der heilige Gregor der Theologe sagt: „Die Rettung erfordert unsere Zusammenarbeit mit Gott.“ Klemens von Alexandria seinerseits sagt: „Wenn die Seelen es wollen, sendet Gott den Heiligen Geist, doch wenn die Bereitschaft fehlt, hält Gott den Heiligen Geist zurück.“ Und der heilige Justinos der Philosoph betont: „Gott, Der den Menschen ohne den Menschen geschaffen hat, kann den Menschen nicht retten, wenn dieser es nicht will.“
So werden wir mit aller Deutlichkeit gelehrt, dass das Heil von zwei Faktoren abhängt: zuerst vom freien Wollen des Menschen und zweitens von der Gnade Gottes.

Zwei Naturen, zwei Willen –
der Widerstreit von Geist und Fleisch

Da jedoch der Mensch ein zugleich materielles und geistiges Wesen ist, äußern sich in ihm gleicherweise auch zwei Willen, als innerer Ausdruck seiner einen Person, wenn diese ein bestimmtes Ding erstrebt. Obwohl sich diese beiden Willen von ihrer Wirkungsform her nicht unterscheiden, sind sie doch grundverschieden voneinander hinsichtlich des Wesens, von dem sie ihren Ursprung haben. Denn der Geist begehrt, was des Geistes ist, das Fleisch aber, was des Fleisches ist. So ist denn der eine Wille Ausdruck der geistigen Gesinnung, der andere aber Ausdruck der fleischlichen Gesinnung. Der Gegensatz zwischen den beiden Gesinnungen bringt gegenseitigen Widerstand und heftigen Kampf hervor, bei dem jede versucht, die Oberhand zu gewinnen und ihre eigene Macht durchzusetzen.
Bei diesem Kampf begehrt zwar der innere Mensch den Sieg des Geistes, der äußere Mensch aber den Sieg der fleischlichen Gesinnung, welche Tod bedeutet, wie der Apostel Paulus sagt: „Die Gesinnung des Fleisches ist Tod, die Gesinnung des Geistes aber ist Leben und Frieden“ (Röm 8,6). Deshalb liegen Fleisch und Geist im Widerstreit, denn „das Fleisch begehrt wider den Geist und der Geist wider das Fleisch“ (Gal 5,17). Die fleischliche Gesinnung ist „Feindschaft gegenüber Gott, denn sie will sich dem Gesetz Gottes nicht unterordnen, noch auch vermag sie es...“, doch „die Gesinnung des Geistes legt Gott gemäß Fürbitte ein für die Heiligen“ (Röm 8,7 und 27). An anderer Stelle sagt der Apostel über die gleichzeitige Existenz dieser beiden Gesinnungen und die natürliche Hinneigung des inneren Menschen zur Gesinnung des Geistes: „Dem inneren Menschen nach freue ich mich zwar an Gottes Gesetz, doch ich sehe noch ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Geistes widerstreitet und mich fesselt an das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist“ (Röm 7,22-23).
Der Mensch nimmt mithin das Gesetz Gottes von Natur aus an, denn an diesem Gesetz freut sich der innere Mensch, weil es das ihm eigene Gesetz ist, das Gesetz seines Geistes. Und jener Wille, der die Gesinnung des Geistes zum Ausdruck bringt, ist der wahre Wille des Menschen, denn er stimmt überein mit dem Gesetz seines Geistes, das dem Gesetz Gottes gleichförmig ist, welches den inneren Menschen erfreut. Deshalb sagt der heilige Johannes von Damaskus: „Das Gute wird von Natur aus geliebt und begehrt, und auf natürliche Art verlangt uns stets danach. Das Böse aber ist ein widernatürliches Verlangen, wenn wir etwas anderes begehren als das von Natur aus begehrte.“
Doch obwohl der wahre Wille der Wille des Geistes ist, das heißt das Begehren des Gu-ten, das von Natur aus begehrt wird, ist er oftmals nicht imstand, den Widerstand des Willens des Fleisches zu überwinden, aus eben dem Grund, den der Apostel Paulus anführt, das heißt wegen dem Gesetz des Fleisches, das den Menschen fesselt an das Gesetz der Sünde. Über diese Einwirkung des Gesetzes des Fleisches sagt der Apostel: „Das Wollen liegt zwar in meiner Reichweite, doch das Vollbringen des Guten gelingt mir nicht. Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will, dieses tue ich“ (Röm 7,18-19).

Wahre Freiheit und Pseudo-Freiheit

Der innere Mensch will zwar und begehrt das Gute, als das, was ihm zugehörig und angeboren ist und was er ersehnt, als das ihm eigene Gesetz, doch das Gesetz des Fleisches und der Sünde bekämpft die Kräfte unserer wahren Freiheit, verhindert den Ausdruck des Guten und diktiert uns das Tun des Bösen. Deshalb sagt der Apostel im Weiteren: „Tue ich aber das, was ich nicht will, bin nicht länger ich selbst es, der es tut, sondern die in mir wohnende Sünde“ (Röm 7,20).

So ist denn das Gute tatsächlich das dem Menschen angeborene Gesetz und sein wahrer Wille, das Böse aber ein anderswoher stammendes Gesetz, etwas, das nicht erschaffen wurde von Gott und das dem wahren Willen des Menschen entgegengesetzt ist. Wenn mithin der Mensch das Gute tut, handelt er frei, gemäß dem Willen des inneren Menschen, und so ist er in Wahrheit frei. Doch wenn er das Böse tut, handelt er unfrei, denn er hat sich dem Gesetz der Sünde unterworfen und ist unfrei, Sklave der Sünde.
Gemäß dem Obengesagten ist frei mithin derjenige, der das Gute tut, Sklave aber derjenige, der das Böse tut. Wahre Freiheit ist die Herrschaft der Gesinnung des Geistes, die das Gute tut. Das Übergewicht der Gesinnung des Fleisches aber, die das Böse tut, ist eine falsche Freiheit, eine Pseudo-Freiheit.

Kennzeichen der wahren Freiheit

Kennzeichen der wahren Freiheit, das heißt unseres wahrhaftig freien Willens, ist die Liebe zum Guten, zum Rechten, zum Wahren, und das standhafte Verharren in dieser Liebe. Die glühende Liebe zum Guten ist Ausdruck des inneren, geistigen Menschen, die Exteriorisierung des Empfindens, das ihn überflutet. Diese glühende Liebe wird geboren, wenn die Diktate des Herzens übereinstimmen mit den Diktaten des göttlichen Gesetzes, das in unsere Herzen eingeschrieben worden ist.
Auch die Heilige Schrift sagt, dass „das göttliche Gesetz eingeschrieben ist in die Herzen“ der Menschen (s. Röm 2,15), denn Gott hat das Herz erschaffen als Sitz der Liebe zum Guten. Deshalb liebt und ersehnt und erstrebt es von Natur aus das Gute, und wie könnte es anders sein, war doch der erste Eindruck, den es empfing, der Anblick des Guten, des Höchsten Guten! Ja, es ist unmöglich, dass es sich anders verhält, denn das Gute hat im Herzen die ersten Eindrücke hinterlassen, die sich tief in dasselbe eingegraben haben und deshalb unauslöschlich und ewig sind. Diese Liebe, diese Sehnsucht, dieses Streben nach dem göttlichen Gesetz ist es, was den Apostel Paulus dazu bringt, das in das Herz eingeschriebene Gesetz zu bezeichnen als „Gesetz des Geistes“ und es gleichzusetzen mit dem Gesetz Gottes.
Diese Erkenntnis des Wesens des wahrhaft freien Willens setzt uns instand, unsere innere Freiheit unbeeinträchtigt zu bewahren und als wahrhaft freie Wesen zu leben. Wahrhaft frei ist derjenige, der in Freiheit denkt, will und handelt.
Die Merkmale der inneren Freiheit sind: Ungebundenheit [durch Leidenschaften und Sünden], Güte, Reinheit, Anstand, Mannhaftigkeit, Stärke, Unbesiegbarkeit, Unerschütterlich-keit, Selbstbeherrschung und Selbstbestimmung. Der innerlich freie Mensch ist geschmückt mit allen Tugenden. Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Einsichtigkeit bekränzen ihn mit unverwelklichen Kränzen.
Der innerlich freie Mensch bildet in seinem Leben auf Erden das Bild seines Göttlichen Schöpfers ab, dessen Schönheit er in sich trägt. Sein Weg ist gerade, seine Heimat im Himmel (s. Phil 3,20). Er schwingt sich empor von der Erde und wird ätherisch, wandert in himmlischen Gefilden. Und indem er sich vereint mit dem Chor der Engel, verherrlicht er Gott, seinen Schöpfer und Bildner.

Kennzeichen der Pseudo-Freiheit
Der innerlich unfreie Mensch hingegen ist wirklich unfrei, denn die Gebundenheit durch Leidenschaften und Sünden bedeutet innere Knechtschaft, und innere Knechtschaft ist Unfreiheit. Daraus folgt, dass der innerlich Unfreie im wirklichen Sinn unfrei ist, Sklave des Gesetzes der Sünde, unfähig zum Tun des Guten, wie es sein wahrer innerer Wille gebietet. Was er tut, entspricht dem Willen und der Gesinnung des Fleisches und nicht seinem wahren inneren Willen.
Jener pseudo-freie Wille vermag viele oberflächliche Menschen zu täuschen und irrezu-führen und sie ins Verderben zu stürzen. Oftmals überzeugt er sie, seine Suggestionen, die von den vielfältigen Leidenschaften und Begierden stammen, zu akzeptieren als Diktate ihres wahren freien Willens und Ausdruck ihres inneren Menschen, das heißt der geistigen Natur.
Der innerlich unfreie Mensch beschmutzt das Abbild Gottes und „obwohl er Mensch ist der Ehre nach, macht er sich den vernunftlosen Tieren gleich“ (s. Ps 48,13 und 21). Er entehrt sich, erniedrigt sich und verdirbt.
Kennzeichen der Pseudo-Freiheit sind die Liebe zum Gesetz der Sünde, innere Gebundenheit, innere Gefangenschaft, Bosheit, Sündhaftigkeit, Hochmut, Arroganz, Schamlosigkeit, Frechheit, Ängstlichkeit, Feigheit, zur Niederlage führende Schwachheit, Verderbtheit, Gottlosigkeit, Ungerechtigkeit, Lügenhaftigkeit, Uneinsichtigkeit und die weiteren Übel, die den Menschen herabsetzen und entwürdigen.


Wie der Mensch seine wahre Freiheit bewahrt

Die Art und Weise, wie wir uns wahrhaftig frei bewahren können, hat uns der Erlöser Selbst aufgezeigt, indem Er sagte: „Wer seine Seele retten will, wird sie verlieren. Wer aber seine Seele verliert um Meinetwillen, wird sie retten“ (s. Mk 8,35). Das heißt, Er lehrte, dass wir nur durch die Selbstverleugnung gerettet werden können. Und in der Tat, damit wir wahrhaftig frei werden, ist es notwendig, dass wir uns selbst verleugnen und das Kreuz schultern und dem Sohn Gottes folgen, Der uns ruft, um uns zu befreien. „Wenn nun der Sohn euch befreit, werdet ihr wirklich frei sein“, sagt unser Erlöser und Befreier (Joh 8,36). Und wiederum: „Wenn ihr in Menem Worte bleibt, seid ihr wahrhaftig Meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,31-32).
Also werden wir frei, indem wir die Botschaft des Erlösers aufmerksam anhören, darin verbleiben, das Kreuz schultern und Ihm folgen. Und wir verleugnen uns selbst, indem wir uns lösen vom Gesetz des Fleisches samt den Leidenschaften und den Begierden (Gal 5,24) und das Kreuz schultern, das heißt indem wir jede Mühsal erdulden um des Gesetzes Gottes willen. Die Art und Weise mithin, wie wir unsere Freiheit bewahren, ist dies: Stillegung des Willens des Fleisches, Betätigung des Willens des Geistes und Unterordnung des Niedrigeren unter das Höhere.
Danach also muß der Mensch streben und für seine Rettung arbeiten, denn sonst ist er in höchster Gefahr, verlorenzugehen. Es gibt nichts Gemeinsames zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gut und Böse. Die Sünde, die den Menschen zerfrißt, ist Finsternis und das größte Übel, führt sie doch Krieg gegen den Willen Gottes. Die innere Freiheit des Menschen rechnet jede Abweichung vom Willen Gottes als Sünde an, und die Sünde entfernt den Menschen von Gott.

Die Pflichten der Freiheit

So groß wie der Wert der Freiheit ist, so groß sind auch die Pflichten, die sie auferlegt. Der innerlich freie Mensch ist verpflichtet, heilig zu werden. Deshalb gebietet Gott sowohl im Alten als auch im Neuen Testament: „Werdet heilig, denn Ich bin heilig“ (Lev 11,44 und 1 Petr 1,16). Denn wie könnte der Unheilige in Kommunion treten mit dem Göttlichen? Und der Erlöser gebietet: „Seid vollkommen, so wie euer Vater in den Himmeln vollkommen ist“ (Mt 5,48), denn so wie der Vater ist, auf Den wir uns berufen, so müssen notwendigerweise auch die Kinder sein.

Gott will mithin, dass wir heilig und vollkommen seien, denn nur Heilige und Vollkommene sind Söhne des Vaters in den Himmeln, und nur solche haben das Recht, mit der Zärtlichkeit von Söhnen Seine Gnade anzurufen, und sie allein erben das Himmelreich. Deshalb auch schrieb der Apostel Paulus an die Korinther: „Wißt ihr etwa nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzenanbeter, noch Ehebrecher, noch Lüstlinge, noch Homosexuelle, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer, noch Plünderer werden das Reich Gottes erben“ (1 Kor 6,9-11).
Deshalb also ruft uns unser Erlöser, uns selbst zu verleugnen und das Kreuz auf uns zu nehmen und Ihm zu folgen: „Will einer Mir nachfolgen, so verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir“ (Mk 8,34). Er anerkennt zwar unsere Freiheit und Selbstbestimmung, überläßt denselben aber auch unsere Rettung. Anders gesagt, wer seine eigene Rettung will, ist gehalten, für ihre Erlangung zu arbeiten. Tut er es nicht, verliert er nicht nur jene Freiheit und Selbstbestimmung, sondern bereitet sich durch seine Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit auch den Verlust des ewigen Lebens und wird stattdessen die ewige Züchtigung erben, wovor Gott uns alle, so bete ich, bewahren möge.

Christus Selbst ist die Freiheit Es ist daher eine unabdingbare Notwendigkeit, dass wir dem Herrn folgen. Denn erst wenn der Sohn Gottes uns befreit, sind wir in Wahrheit frei. Ja, es ist wahr – nur der Sohn Gottes kann uns befreien, denn Er Selbst ist die Freiheit. „Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit“, sagt der Apostel Paulus (2 Kor 3,17). Nur wenn wir dem Erlöser folgen, können wir frei bleiben und erlöst werden von der Sklaverei der Sünde. „Jeder der die Sünde tut, ist Sklave der Sünde“ (Joh 8,34). Wollen wir mithin frei sein, sind wir gehalten, Christus dem Erlöser zu folgen.


Quelle: www.prodromos-verlag.de


[1] Gr. Originaltitel Ὁμιλία περί τῆς ἀληθούς ἐλευθερίας. Aus dem Sammelband  Περί ἐπιμελείας ψυχής („Über das Hüten der Seele“), Athen 1894,  mit Homilien des hl. Nektarios v. Aegina, Bischof v. Pentapolis (1846-1920, siehe Das Synaxarion, 9. November). Übers. Kloster d. Hl. Johannes d. Vorläufers, Chania 2011.
[2] Gr. εἰς Αὐτὸν ἔχει τῆν  ἀναφορά τοῦ.
[3] Gr. ἀυτοσυνείδητος.    
[4] Gr. ἀυτεξούσιος. 
[5] Gr. το ἀυτεξούσιον. Kann auch mit „Selbstbestimmung“ übersetzt werden, im Sinne des freien Willens und Entscheidens. Die oft verwendete Übersetzung mit „Selbständigkeit“ hingegen wird in dem vom Atheismus geprägten modernen Sprachgebrauch leicht mißverstanden und fälschlich identifiziert mit „Unabhängigkeit“ im Sinn von „Unabhängigkeit von Gott“, eine Idee, die dem Begriff des ἀυτεξούσιον fremd ist. Die Idee einer Unabhängigkeit des Menschen von jedem göttlichen Gesetz ist eine Erfindung unserer dekadenten Zeit und existiert in keiner menschlichen Kultur, welcher Epoche und Weltgegend auch immer.
[6] Siehe Das Synaxarion am 1. Juni. Der hl. Justinos lebte im 2. Jh. Deutsche Übers. seiner Schriften und Martyrer-akten in BKV (Bibliothek der Kirchenväter, online unifr.bkv)

http://www.impantokratoros.gr/heilige-nektarios-freicheit.de.aspx
http://hristospanagia3.blogspot.gr/2012/11/uber-die-wahre-freiheit.html

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